Sonntag, Oktober 23, 2005

Filmreview: High Tension (Frankreich, 2003)


Alex besucht zusammen mit ihrer Freundin Marie ihre Eltern, die in einem abgelegenen Haus auf dem Land leben. Im Haus von Alex Familie angekommmen, begibt man sich alsbald zu Bett. Während Marie im Gästezimmer noch mit sich selbst beschäftigt ist, und der Rest der Bewohner schlafen gegangen ist, hält vor der Haustür ein Lastwagen. Der Vater von Alex öffnet dem späten Gast nach beharrlichem Sturmklingeln die Haustür, und lässt damit den Tod in sein Haus. In den folgenden Szenen tötet ein fremder Mann die Familie von Alex. Einzig Alex lässt der Mörder am leben, um sie gefesselt in seinem Wagen zu entführen. Marie hingegen wurde verschont, weil sie sich im Gästezimmer verstecken konnte.

Die ganze Szene im Haus läuft in klassischer Slasher-Manier ab, wobei die Morde ausgesprochen brutal und explizit dargestellt sind. Auch wenn die Kamera nicht jedes Detail zeigt, bleibt bei den Tötungsszenen nur wenig der Fantasie des Zuschauers überlassen. Um nicht zu sagen die Gewaltdarstellungen sind geradezu Fulciesk. Bei einem zeitgenössischem Film treffen einen derartige Szenen recht unerwartet, und erhalten dadurch eine zusätzliche Schockwirkung.

Marie derweil gelingt es, sich bei ihrer Freundin im Wagen des Killers zu verstecken. Bei einem Halt an einer Tankstelle vesucht sie Hilfe zu holen, was ihr nicht ganz gelingt. Nun folgt eine Szene der Art "Ich verstecke mich am besten auf der Toilette vor dem Wahnsinnigen der mich gerade verfolgt". Diese Szene kann man als Hommage an Maniac betrachten, teilweise sind sogar die Kameraeinstellungen mit dem Vorbild identisch, wobei Regisseur Aja den Ablauf etwas variiert, und so mit der Erwartung des Zuschauers spielt. Im Anschluss nimmt Marie die Verfolgung des Killers auf, das ganze mündet in einem Showdown mit dem Killer und einer Wendung in der Handlung, der wiederum ein blutiges Finale folgt.

Die Wendung in der Handlung und die Szenen zu Beginn, die diese Andeuten, habe ich bis hier noch nicht erwähnt. Das, was der Zuschauer im Film zu sehen bekommt, deckt sich nicht ganz mit dem eigentlichen Geschehen der Handlung, was zu eben dieser Wendung führt, andererseits aber einige Widersprüche beinhaltet. Erzählt wird die Geschichte mehrheitlich aus der Perspektive von Marie, die, wie sich später herausstellt ihre subjektive Sichtweise der Geschehnisse ist. Grundsätzlich ist es lobenswert, daß Aja versucht hat mit dieser Wendung dem Film eine weitere Ebene zu geben anstatt sich mit der Handlung in den etwas ausgetretenen Pfaden des klassischen Slashers zu bewegen. Das Problem dabei ist, daß die Auflösung nicht gänzlich ohne Widersprüche gelingt oder vom Zuschauer zuviel Fantasie verlangt. Alexandre Aja ist eben nicht Shyamalan, dennoch ist es ihm gelungen einen der besten Horrorfilme der letzten Jahre zu drehen. Der nicht ganz gelungene Plottwist ist der einzig nennenswerte Makel von High Tension.

Zu den Stilmitteln des Films gehört das ganze Reperoire moderner Regie- und Schnittechnik. Stellenweise schnelle Schnittfolgen, verwackelte Kamera, Farbfilter und extreme Nah- und Detaileinstellungen. Aber zu keiner Zeit wird der Einsatz dieser Elemente übertrieben oder wirkt wie effekthascherische Spielerei. Alles ordnet sich der Atmosphäre des Filmes unter und ergibt ein homogenes Gesamtbild. Diesselbe Aussage lässt sich auch für den Ton treffen. Einige Szenen werden von einem Hintergrundrauschen begleitet, andere besonders spannende Einstellungen werden von ruhigen Ambient-Klängen kontrastiert. Sämtliche Schockmomente sind dabei genau dosiert und werden nicht überreizt. Die Blutrunst einiger Darstellungen und das fehlen jeglichen Humors oder Ironie würde man in einer derart kompromisslosen Umsetzung allenfalls bei einer asiatischen Produktion erwarten, um so erfreulicher, daß auch in Europa der klassische Horrorfilm nicht tot ist.

Ein perfekt inszenierter Slasher, der einerseits eine Brücke zu klassischen Vorbildern der Genres aus den 70ern und 80ern schlägt und sich andererseits modernen Stilmitteln nicht verwehrt. Über kleine Schwächen bei der Konsistenz des Plots sollte man angesichts der Perfektion in den übrigen Disziplinen grosszügig hinwegsehen.
Meine uneingeschränkte Empfehlung (für Genrefreunde).